Etwa 80.000 bis 120.000 Deutsche sind intersexuell, was bedeutet, dass ihre Chromosomen sie nicht eindeutig als männlich oder weiblich identifizieren. Dieses dritte Geschlecht, wie es mittlerweile heißt, wurde im Oktober 2017 vom deutschen Bundesverfassungsgericht gesetzlich anerkannt.
In seiner Entscheidung beschloss das Gericht, dass Persönlichkeits- und Gleichheitsrechte verletzt werden, wenn inter- oder transsexuelle Personen keine Möglichkeit haben, ihre biologische Identität in anderer Form als weiblich / männlich bei Behörden zu registrieren.
Diese Entscheidung hat den Bundestag zum Handeln bewogen. Seit dem 22. Dezember 2018 können Menschen ihre sexuelle Identität als „divers“ registrieren lassen. In diesem Zuge sind neben (m/w/d) auch einige weitere geschlechtsneutrale Abkürzungen entstanden.
Für die Arbeitswelt bedeuten diese Entwicklungen Auswirkungen auf eine Vielzahl an Prozessen und Bereichen. Stellenausschreibungen, Personalverwaltung und Vertragsgestaltung sind von der Entscheidung betroffen und machen Änderungen notwendig.
Der Beitrag gibt einen aktuellen Überblick über die wichtigsten Fragen, die sich seit der Anerkennung des dritten Geschlechts durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) für Stellenausschreibungen und Bewerbungsprozesse ergeben haben.
Eine Untersuchung von 570.000 Stellenanzeigen hat gezeigt, dass bereits 7 Prozent aller Ausschreibungen die Verwendung von Kürzeln einsetzen.
Die am weiten verbreitetste Variante für AGG-konforme Stellenausschreibungen ist (m/w/d). In dieser Form steht das “d” für “divers” oder “drittes Geschlecht”. Der Zusatz soll verhindern, dass Stellenausschreibungen gegenüber Personen, die sich weder als männlich noch weiblich identifizieren, als diskriminierend ausgelegt werden kann. Neben der Abkürzung (m/w/d) finden anstelle des “d” (divers) auch viele weitere Buchstaben und Zeichen Anwendung.
Beispiele der Variationen umfassen unter anderem die folgenden Kürzel:
Neben diesem Auszug verwenden Arbeitgeber zahlreiche weitere Formen, um dem Anspruch gerecht zu werden, Stellenausschreibungen geschlechtsneutral und nicht-diskriminierend auszuformulieren.
Hier mag sich für manche Leser die Frage stellen: Müssen ArbeitgeberInnen von den Abkürzungen Gebrauch machen?
Entgegen vieler Meinungen sind ArbeitgeberInnen laut dem AGG nicht dazu verpflichtet, Abkürzungen wie (m/w/d) oder Abwandlungen hiervon in Stellenausschreibungen zu verwenden.
Allerdings müssen Arbeitgeber laut AGG sicherstellen, dass Stellenausschreibungen so formuliert sind, dass einzelne Geschlechter sich nicht diskriminiert fühlen.
Insofern unterstützen die Abkürzungen ArbeitgeberInnen, die gute Intention und Offenheit gegenüber allen Geschlechtern transparent und, mehr oder weniger, eindeutig zu kommunizieren.
Sollten ArbeitgeberInnen hingegen weiterhin explizit nur Männer und Frauen ansprechen, liegt der Tatbestand der Benachteiligung vor, der entsprechend geahndet wird.
Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts sind nach dem AGG zu verhindern. Missachten ArbeitgeberInnen die Auflagen des Gesetzgebers, ist mit nachdrücklichen Strafen zu rechnen. Unternehmen drohen unter anderem empfindliche Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche des betroffenen Arbeitnehmers.
Nicht zu unterschätzen ist natürlich der immaterielle Schaden in Form einer Rufschädigung des Unternehmens im Falle einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung. Insbesondere angesichts des großen Einflusses durch Social Media, können Betroffene mit nur einem Tweet oder Post eine PR-Krise (aka Shitstorm) für Unternehmen auslösen.
Die Anpassung von Stellenanzeigen trägt dazu bei, potenzielle Diskriminierungsklagen zu vermeiden. Anzeigen jedoch, die das dritte Geschlecht nicht berücksichtigen, können zu der Annahme verleiten, dass dieses Geschlecht diskriminiert wird. Vielmehr können unterschiedliche geschlechtsspezifische Formulierungen sowie geschlechtsneutrale Oberbegriffe und Stellenbezeichnungen verwendet werden.
Arbeitgeber sollten ihre Stellenausschreibungen vor der Veröffentlichung überprüfen, um sicherzustellen, dass sie AGG-konform formuliert sind. Dies kann in Form von geschlechtsneutralen oder anderweitig dem dritten Geschlecht Rechnung tragenden Inseraten geschehen.
Wie bereits erwähnt, ist die einfachste Form, Gleichstellung zu kommunizieren, durch eine Erweiterung des Jobtitels mit Klammern zu erreichen. Auf der Grundlage der Begriffe „inter/diverse“ sind verschiedene Zusätze wie „(m/f/d)“, „(m/f/i)“ oder „(m/f/x)“ anwendbar.
ArbeitgeberInnen sollen zunehmend ermutigt werden, in ihren Stellenausschreibungen zum Ausdruck zu bringen, dass sie unabhängig vom Geschlecht für alle Menschen offen sind.
Darüber hinaus sollten ArbeitgeberInnen versuchen,geschlechtsneutrale Auswahlmöglichkeiten über Stellenausschreibungen hinaus in den gesamten Bewerbungsprozess zu integrieren.
Aufgrund der verstärkten Nutzung von Online-Bewerbungen sind auch Anpassungen erforderlich, um das dritte Geschlecht im Bewerbungsverfahren zu berücksichtigen. Online-Fragebögen oder Bewerbungen, die den BewerberInnen die Wahl lassen, sich nur als männlich oder weiblich oder als „Herr“ oder „Frau“ zu identifizieren, können durch den Ausschluss einer dritten Geschlechtsoption als diskriminierend erscheinen.
ArbeitgeberInnen sollten es vermeiden, vordefinierte Wahlmöglichkeiten für Geschlecht und Anrede zu verwenden.
Unabhängig von der Entscheidung sollten ArbeitgeberInnen ein Arbeitsumfeld schaffen, das frei von Diskriminierung ist. Dieser Ansatz beschränkt sich keineswegs nur auf die Formulierung von Stellenausschreibungen. Stattdessen sollten Unternehmen auch in weiteren Bereichen versuchen, die Gleichstellung am Arbeitsplatz für Mitarbeitende ersichtlich zu machen.
In den Personalakten sollte nicht verlangt werden, dass ein Arbeitnehmer als Identität nur männlich oder weiblich eingetragen wird. Ein Großteil der heute verfügbaren Personalverwaltungssoftware bietet andere Wahlmöglichkeiten, wie z.B. „kein Geschlecht“ oder „divers“.
ArbeitgeberInnen müssen unter Umständen auch Beschäftigungs- und Tarifverträge sowie Vereinbarungen mit Betriebsräten überprüfen und überarbeiten. Zum Beispiel kann die folgende Erklärung aufgenommen werden:
„Wenn die männliche Bezeichnung in der folgenden Sprache verwendet wird, versteht man, dass weibliche und intersexuelle Personen eingeschlossen sind.”
Nach den deutschen Arbeitsschutzbestimmungen müssen die Toiletten für Männer und Frauen getrennt sein oder eine getrennte Nutzung ermöglichen. Bislang wurden diese Vorschriften jedoch nicht aktualisiert, um das dritte Geschlecht einzubeziehen.
Es ist unklar, ob ArbeitgeberInnen physische Veränderungen an den Toiletten vornehmen müssen. Getrennte Toiletten für MitarbeiterInnen des dritten Geschlechts würden jedoch spätestens dann notwendig, wenn der Gesetzgeber dies verlangt.
Denkbar ist auch die Einführung von geschlechtsneutralen Unisex-Badezimmern, wie sie in anderen Ländern bereits üblich sind. Vorerst sollten ArbeitgeberInnen erwägen, Arbeitnehmende dritten Geschlechts die Benutzung beider Toiletten zu gestatten und die Räume entsprechend zu kennzeichnen, z.B. durch die Verwendung der Begriffe „männlich/divers“ und „weiblich/divers“.
Diese Entwicklungen bieten den Arbeitgebern die Möglichkeit, ihre Praktiken anzupassen, einschließlich der Rekrutierung und der Führung von Personalakten. Auf diese Weise können Unternehmen ein klares und eindeutiges Signal der Toleranz setzen und sich als moderne Arbeitgeber positionieren.
Da sich die Gesetzgebung in diesem Bereich ständig weiterentwickelt, hier einige Tipps für ArbeitgeberInnen, die proaktiv handeln und Risiken minimieren möchten:
Diskrimierung bei der Arbeit?
Vermeiden Sie Diskrimierung und Verstöße gegen das AGG, denn die Folgen für Ihr Unternehmen wären gravierend.
Indem Unternehmen unterschiedliche Geschlechtsidentitäten in möglichst allen Bereichen des Unternehmensalltags berücksichtigen, schaffen ArbeitgeberInnen direkte Vorteile im Hinblick auf die Performance des Unternehmens, wie die Boston Consulting Group herausgefunden hat.
Diese Studie von der Personaldienstleistung Michael Page verdeutlicht, dass MitarbeiterInnen in “Diversity-Teams” zufriedener und motivierter sowie weniger gestresst sind. Darüber hinaus fühlen sich 44% der befragten MitarbeiterInnen in dieser Studie dem Unternehmen zugehöriger – eine effektive Maßnahme also, um Mitarbeiterfluktuation wesentlich entgegenzuwirken.
Im Zusammenhang mit dem AGG sind Stellenausschreibungen lediglich ein Beispiel. Diskriminierung und Belästigung halten im Büroalltag, mehr oder weniger offensichtlich, immer wieder Einzug. Derartige Vorfälle mindern nicht nur die Zufriedenheit von Mitarbeitern, sondern schränken auch den Fokus auf die Arbeit erheblich ein. Es zeigt sich also: Nicht nur Personaler oder HR-Mitarbeitende sollten mit den Umgangsformen entsprechend des AGG vertraut sein.
Um eine gesunde und nachhaltige Diversity-Kultur in Konformität mit dem AGG in Unternehmen aufzubauen ist es wichtig, dass alle MitarbeiterInnen ein Bewusstsein für Gleichstellung und Anti-Diskriminierung entwickeln. Nur so gelingt es Unternehmen langfristig, den Arbeitsplatz als “Wohlfühlort” zu etablieren.
Schaffen Sie dieses Bewusstsein, indem Sie MitarbeiterInnen durch Schulungen weiterbilden. Die Online-Schulungen von lawpilots unterstützen Unternehmen bei einer flächendeckenden Aufklärung in Bezug auf das AGG am Arbeitsplatz. Schauen Sie sich unsere kostenfreie Demo zum Thema “Wie können wir Gleichbehandlung leben?” an und lernen Sie, wie Gleichstellung am Arbeitsplatz richtig funktioniert.